Start in die Projektpraxis mit Zyklon "Enawo"


Mein insgesamt neunmonatiger Projekteinsatz in Madagaskar begann anders als erwartet, und im realen Kontext meines Einsatzthemas „Klimarisiken und Adaptationsmöglichkeiten in Marktsystemen“. Gegen Ende einer untypisch trockenen und sturmfreien „Regenzeit“ ist zeitgleich mit meiner Ankunft in der Hauptstadt Antananarivo an der Ostküste der heftige Zyklon „Enawo“ aufgetreten – ein Zyklon einer Stärke, wie es ihn auf der global viertgrössten Insel seit 10 Jahren nicht mehr gegeben haben soll. Als Folge stand am ersten Arbeitstag ein „UNO-Meeting“ zur Koordination der humanitären Hilfe statt der geplanten Projekteinführung an. Für mich lediglich eine Programmumstellung, lauten die aktuellen Zahlen der UNO: 434'000 Personen direkt betroffen, gut die Hälfte davon zumindest vorübergehend aus der eigenen Unterkunft vertrieben, 81 Menschen mussten ihr Leben verlieren.
Nach zwei spannenden aber natürlich auch emotionalen Einführungswochen in der Hauptstadt trat ich zusammen mit einer ebenfalls für die Klimaanalyse rekrutierten madagassischen Praktikantin die Reise in meinen Einsatzort „Ambanja“ an. Ambanja ist Hauptort des Kakaogebiets um den Fluss Sambirano im Nordwesten von Madagaskar. Anders als im Grossteil des Landes findet sich hier ein nahezu perfektes Klima für die Kakaoproduktion; das heisst vor allem ideale Temperaturen und ausreichend Niederschlag. Dieses Klima – welches nach ersten Recherchen aber auch hier im Wandel ist – ermöglicht eine Produktion praktisch ohne chemische Zusatzmittel. Nicht zu den hauptbetroffenen Regionen der Insel gehörend hat Zyklon „Enawo“ auch hier seine Schäden hinterlassen. Ganze Dörfer lagen über Tage unter Wasser und ein Grossteil der mehrheitlich zur Eigenversorgung bewirtschafteten Reisfelder wurde verwüstet, während sich gleichzeitig die Reispreise auf den lokalen Märkten vervielfachten.

Im erst 2015 für die Umsetzung des „Lindt & Sprüngli Farming Program“ gegründeten Projektbüros traf ich so auf ein engagiertes achtköpfiges Team und jede Menge (zusätzliche) Arbeit. Gerade hat die erste Periode der Hilfsgüterverteilung an Zyklonbetroffene in den Projektdörfern begonnen, welche ich an meinem ersten Arbeitstag vor Ort gleich in zwei Dörfern unterstützen durfte. Zusammen mit den anderen Teammitgliedern füllte ich farbige Kessel mit jeweils etwas Reis, Bohnen, Zucker und Öl; einem „Waschset“ und drei Kerzen. Die Produktauswahl war wie auch die Liste der Bedürftigen Ergebnis einer zuvor durchgeführten Bedürfnisanalyse. Währenddem Auffüllen sammelten sich nach und nach mehr DorfbewohnerInnen an und warteten geduldig, bis sie ihren Kessel entgegennehmen konnten. Gerührt hat mich insbesondere die Dankbarkeit und Zufriedenheit der Kakaobäuerinnen und -bauern über diesen (aus Schweizer Perspektive) doch eher bescheidenen Hilfsbeitrag.

Nach einer ersten Phase der kurzfristigen Hilfe ist hier im Büro bereits die zweite Phase mittel- und langfristiger Hilfsmassnahmen in Planung, welche mehrheitlich mit der grosszügigen Spende von 50'000 CHF der „Lindt Cocoa Foundation“ sowie einer Spende von Lindt & Sprüngli Schweiz finanziert wird. In den nächsten Monaten sollen kritische Punkte der Strasse in die während der Regenzeit generell oft nicht mehr zu erreichenden „Kakaodörfer“ des „Haut Sambirano“ saniert, Brunnen desinfiziert und versandete Reisfelder gesäubert und mit neuem Saatgut bepflanzt werden – also alles Massnahmen, von denen die Bevölkerung „nachhaltig“ profitieren soll. Nach eigenen Fahrten in die Dörfer kann ich diese Interventionen nur begrüssen und finde es natürlich sehr verantwortungsvoll von einem Unternehmen, die eigenen ProduzentInnen in Krisensituationen zusätzlich zu unterstützen. Bereits die positiven Reaktionen während den Hilfsgüterverteilungen waren für mich Zeichen der Zufriedenheit, in einem Programm und mit Partnern zusammenzuarbeiten, welche auch in schwierigen Zeiten Solidarität zeigen. Mit der post-Katastrophenhilfe zusammenhängende Risiken wie zum Beispiel nicht eintretende Zukunftserwartungen wurden im Büro im Detail analysiert und über verschiedene Strategien zu minimieren versucht.

Den Grossteil der ersten zwei Monate als Projektassistentin konnte ich trotz „Enawo“ meiner Analyse sowie der Einführung in den lokalen Kakaosektor und das Projekt allgemein widmen. Beispielsweise hatten meine Arbeitskollegin und ich bereits viele interessante Gespräche mit privaten und staatlichen VertreterInnen von unterschiedlichen Sektorbereichen. Sehr interessant war auch das Beobachten von Ausbildungsmodulen, welche von HELVETAS-Ausbildnern und zunehmend lokalen Partnerorganisation für die Kakao-ProduzentInnen und -VerarbeiterInnen im Rahmen des „Farming Programs“ durchgeführt werden. Die Module waren jeweils gut besucht und die Teilnehmenden haben engagiert mitgewirkt. Freude am gegenseitigen Austausch und eine grosse Lernmotivation durfte ich in den letzten Wochen allgemein schon öfters erleben.
Privat habe ich mich inzwischen ebenfalls sehr gut in der Kleinstadt eingelebt und erste Wochenenden für Ausflüge genutzt. Von einer endemischen Flora und Fauna geprägte Regenwälder sowie eine paradiesische und doch relativ rar touristete Inselwelt liegen in unmittelbarer Umgebung. Ich freue mich also sehr, auch im nächsten halben Jahr einen Beitrag an dieses interessante und sinnvolle Projekt zu leisten und im Austausch mit der lokalen Bevölkerung natürlich auch meinen Horizont zu erweitern – während und neben der Arbeit.