Ein ganzheitlicher Ansatz zur Steigerung der Einkommen für Kakaobauern

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Von Dr. Piera Waibel

Kilchberg /


Wenn der Anbau des benötigten Rohstoffs sich auf einige wenige Entwicklungsländer konzentriert, in denen weit verbreitete Armut herrscht, ist die Armutsbekämpfung nicht nur eine Frage der Verantwortung, sondern auch eine Notwendigkeit. Armut hat viele Dimensionen, doch ich befasse mich hier in erster Linie mit dem Thema Einkommen.

Die Auseinandersetzung rund um bessere Einkommen für Kakaobauern drehte sich bislang vor allem um höhere Ernteerträge und höhere Preise und/oder Prämien. Meiner Meinung nach sind diese Ansätze und Lösungen zu eng gefasst. Um langfristige positive Veränderungen zu bewirken, sind weitere Massnahmen notwendig. Dazu aber müssen sich einige Denkweisen grundlegend ändern.

Erstens müssen wir aufhören, allgemein über Einkommen zu sprechen, und stattdessen auf das Nettoeinkommen fokussieren. Denn was die Kakaobauern letztlich verdienen, ist nicht nur vom Verkaufswert sondern auch von den Kosten abhängig. Ansätze, die ausschliesslich Wachstum oder Produktionssteigerungen nach dem Modell höherer Ressourceneinsatz, höherer Ertrag anstreben, vernachlässigen den damit verbundenen höheren Kostenaufwand für Arbeit und andere benötigte Inputs für die Landwirtschaft.

Zweitens ist ein Kakaobauer häufig nicht ausschliesslich ein Kakaobauer, sondern vielmehr ein Mitglied eines „Haushalts“, der auch Kakao produziert. Die vom niederländischen Tropeninstitut KIT veröffentlichte Studie «Demystifying the Cocoa Sector in Ghana and Côte d’Ivoire» (Entmystifizierung des Kakaosektors in Ghana und der Elfenbeinküste) kam zu dem Schluss, dass kakaoproduzierende Haushalte gleichzeitig auch andere Kulturen anbauen und mehrere Einkommensquellen haben. Für viele ist Kakao – abhängig von den Alternativen – die attraktivste Anbaukultur.

Drittens fallen in einem Haushalt nicht nur Kosten für Kakaoproduktion sondern auch für den Haushalt als solchen an. Nach Berechnungen der Living Income Reports (Ghana, Elfenbeinküste), die für die Living Income Community of Practice erstellt wurden, wird über die Hälfte des existenzsichernden Einkommens für Lebensmittel aufgewendet. Durch eine bessere Infrastruktur – zum Beispiel Strassen – könnten die Kosten der Haushalte gesenkt werden.

Schulung zur Herstellung organischer Dünger und Pflanzenschutzmittel in Ecuador, einschliesslich einer wirtschaftlichen Analyse im Vergleich mit synthetischen Mitteln (Foto: Lindt Cocoa Foundation)

Vor diesem Hintergrund sind Erhöhungen der Preise oder Prämien sicherlich ein wichtiger Mechanismus, den es zu berücksichtigen gilt. Beide sind jedoch nur einzelne Mosaiksteine einer Gesamtlösung, die zu einem höheren Haushaltsnettoeinkommen der Kakaobauern beiträgt. Es ist an der Zeit, sich mit ganzheitlichen, ausgewogenen Lösungen zu befassen.

Nettoeinkommen der Bauern als wichtige Kennzahl

Das Lindt & Sprüngli Farming Program (vertreten in Ghana, Ecuador, Madagaskar, Papua-Neuguinea und in der Dominikanischen Republik) entwickelt, testet und setzt solche ganzheitlichen Lösungen derzeit in verschiedenen Herkunftsländern von Kakaobohnen um. Alle Massnahmen des Programms sind letztlich darauf ausgelegt, den Bauern, ihren Familien und ihren Gemeinschaften ein höheres Nettoeinkommen zu verschaffen1.

Der Gesamtansatz gliedert sich in vier verschiedene Handlungsebenen:

  1. Nachhaltige Intensivierung des Kakaoanbaus
  2. Erschliessung zusätzlicher Einkommensquellen
  3. Stabilisierung und Sicherstellung des Einkommens
  4. Ausbau der Infrastruktur der Gemeinschaft

Eine nachhaltige Intensivierung des Kakaoanbaus – unterstützt durch gezielte Bereitstellung von Ressourcen und Leistungen für bäuerliche Haushalte – führt zu einer grösseren Kakaoernte auf gleichbleibender oder kleinerer Landfläche und verstärkt die positive Wirkung auf eine intakte Umwelt. Die Bauern müssen sich Grundkenntnisse aneignen, um fundierte Entscheidungen treffen und Zusatzkosten vermeiden zu können. 400 Aussendienstmitarbeitende des Lindt & Sprüngli Farming Program unterstützen die Bauern mit Gruppenschulungen und individuellem Coaching. Gleichzeitig werden notwendige Ressourcen und Leistungen zur Verfügung gestellt.

Selbst bei höheren Nettoeinkommen aus dem Kakaoanbau sind die Kakaofarmen häufig zu klein, um einen passablen Lebensstandard zu ermöglichen. An dieser Stelle tritt die Erschliessung zusätzlicher Einkommensquellen auf den Plan. Insbesondere wenn das Land knapp und die Entwaldung zum Problem wird, ist die Vergrösserung der Anbauflächen möglicherweise keine durchführbare Option. Vor allem während der Zwischensaison haben die Bauern Zeit für zusätzliche Tätigkeiten. Nicht zuletzt sind diversifizierte Einkommensströme auch unter Risikoaspekten sinnvoll. Im Rahmen unseres Farming Program fördern wir die Bienenzucht, den Gemüseanbau und die Aufzucht von Schweinen, Hühnern oder Schnecken. In Ghana und Ecuador bieten wir Bauern mit unseren Krediten Startkapital in Verbindung mit Kapazitätsausbau und Unterstützung. Diese Tätigkeiten schaffen nicht nur zusätzliches Einkommen sondern tragen auch zur Senkung der proportional hohen Haushaltskosten für Lebensmittel bei. Wenn Lebensmittel über lange Strecken befördert werden müssen, um zu den Gemeinschaften zu gelangen, wie beispielsweise im Sambirano-Tal in Madagaskar, können durch diese Massnahmen auch die Kosten für die Nachbarn und Dorfgemeinschaften gesenkt werden, die nun vor Ort frische Erzeugnisse zu günstigeren Preisen kaufen können.

Das Farming Program unterstützt die Bauern direkt vor Ort

Zur Stabilisierung des Einkommens über das ganze Jahr (denn Kakao und andere Agrarprodukte sind saisonal) fördert unser Programm ausserdem die Gründung von dörflichen Spar- und Kreditgruppen. Damit soll unter anderem auch der Grundsatz stärker ins Bewusstsein gerückt werden, dass Ersparnisse stets vor Krediten kommen sollten. Zur längerfristigen Einkommenssicherung werden im Rahmen des Programms Pilotprojekte im Bereich der Land- und Baumrechte, der klimagerechten landwirtschaftlichen Praktiken, der (dynamischen) Agroforstwirtschaft oder nachhaltigen Landwirtschaft durchgeführt. Sie sind Teil unseres No-Deforestation & Agroforestry Action Plans, der mit unserer Mitgliedschaft in der Cocoa & Forests Initiative in Verbindung steht.

Ermöglicht wird all dies durch die zugrunde liegende Infrastruktur der Gemeinschaft. Warum kann ein Bauer in Ecuador oder in der Dominikanischen Republik fünf Hektar allein bewirtschaften, während eine Landfläche gleicher Grössenordnung in Ghana zu viel Arbeit für einen Bauern allein ist und zusätzliche Arbeitskräfte erfordert? Die Antwort auf diese Frage ist natürlich sehr viel komplexer, aber der Grund liegt meiner Meinung nach – kurz gefasst – darin, dass der ghanaische Haushalt mehr Zeit ausserhalb der Farm verbringen muss, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Statt zu reiten oder mit dem Motorrad oder Auto auf einer gepflasterten Strasse zu fahren, müssen die Bauern in Ghana zu Fuss zu ihren Anbauflächen gehen. Sie verbringen tagtäglich viele Stunden damit, Wasser für den Haushaltsbedarf zu holen, während andere nur den Hahn aufdrehen müssen. Unser Einfluss auf diesen Bereich ist recht begrenzt. In den vergangenen Jahren haben wir allerdings viel Geld in den Zugang zu sauberem Trinkwasser investiert. Wenngleich dies wie ein Tropfen auf den heissen Stein wirkt, erleichtert es das Leben – insbesondere der Frauen – erheblich.

Natürlich gibt es noch jede Menge darüber zu lernen, was am besten funktioniert. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass ein ganzheitlicher Ansatz auf mittlere bis lange Sicht der Schlüssel zur Steigerung der Haushaltsnettoeinkommen sein wird.

Trinkwassersystem in Madagaskar (Foto: Helvetas Swiss Intercooperation)

1) See Theory of Change of the Lindt & Sprüngli Farming Program


Autor/in

Dr. Piera Waibel / Managing Director, Lindt Cocoa Foundation, and Sustainability Manager, Lindt & Sprüngli (International) AG

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